Skip to content

Resilienz – 8 Faktoren seelischer Widerstandskraft in schwierigen Zeiten

von Ingo Zacharias am 15. Dezember 2010

Warum gelingt es manchen Menschen, Krisen und Schicksalsschläge zu meistern und warum zerbrechen andere daran? Wie schaffen es Menschen, Erfahrungen von Trennung, Misserfolg, Alleinsein, aber auch von Tod, Gewalt oder Missbrauch so zu verarbeiten, dass sie ohne langfristige seelische Verletzungen weiter leben können?

Diese Fragen untersucht die Resilienzforschung. Bei Wikipedia findet sich die häufig verwendete Definition:

Resilienz (von lat. resilire: ‚zurückspringen‘ ‚abprallen‘, deutsch etwa Widerstandsfähigkeit) ist die Fähigkeit, Krisen durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.

Das Gegenstück dazu ist die Vulnerabilität. Menschen neigen hier dazu, sich leicht emotional verwundet zu fühlen und keinen konstruktiven Umgang mit schwierigen Situationen zu finden.

Die Befähigung zur Resilienz wird in unserer Kindheit gelegt. Birgit Wolter nennt drei Bedingungen, die resiliente von „auffälligen“ Kindern unterscheiden:

  • eine stabile emotionale Beziehung zu einem Erwachsenen (z. B. Eltern, Onkel, Tante, Nachbarn oder Lehrer)
  • mit Menschen aufwachsen, die als soziales Vorbild dienen und zeigen, wie Probleme konstruktiv gelöst werden können
  • frühe Übernahme von Verantwortung (etwa ein Amt in der Schule oder die Versorgung jüngerer Geschwister)

Zentrale Resilienz-Faktoren

Aber auch wenn wir hier als Kinder nicht die besten Voraussetzungen hatten, können wir diese seelische Widerstandskraft stärken. Die aus der wissenschaftlichen Forschung abgeleiteten 7 Resilienz-Faktoren (dargestellt im Buch „Der R-Faktor“ von Micheline Rampe) sind dabei eine gute Orientierung, um festzustellen, wie es um unsere Krisenanfälligkeit steht:

  • Eine positive Lebenseinstellung: Sie beinhaltet die Überzeugung, dass sich nach schwierigen Zeiten die Dinge auch wieder zum Positiven wenden werden, dass es immer „ein Licht am Ende des Tunnels“ gibt. Diese Haltung verleugnet nicht die Realität von schwierigen Phasen im Leben. Aber sie legt darüber keine negative allgemeine Sicht des Lebens wie „Das Leben ist ein Jammertal“ oder „Das Leben meint es einfach nicht gut mit mir“.
  • Die Wechselfälle des Lebens einplanen: Resiliente Menschen sind sich bewusst, dass im Leben nicht alles glatt laufen kann. Ohne dabei in Schwermut zu verfallen, spielen sie in guten Zeiten auch einmal die Frage „Was wäre wenn…?“ durch. So treffen sie die unerwünschten Situationen des Lebens nicht völlig unerwartet.
  • Akzeptanz der Situation und der damit verbundenen Gefühle: Ein schwieriger Punkt für viele Menschen. Sehr subtil kann es, auch über einen längeren Zeitraum, zu einer Ablehnung der Realität sowie eigener Gefühle wie Trauer und Wut kommen. Die Fähigkeit, im Leben weiter zu gehen, entsteht aber erst, wenn wir ganz sanft und schlicht „Ja, mein Ehemann ist nicht mehr da“, „Ja, ich habe meinen Arbeitsplatz verloren“, „Ja, ich habe eine schwere Krankheit“ sagen können.
  • Lösungsorientierung: „Was kann ich tun?“, „Welche Möglichkeiten habe ich, wieder Freude in mein Leben zu bringen?“ – Anstatt auf die Vergangenheit zu starren und das, was jetzt nicht mehr da ist, versuchen resiliente Menschen, neue Optionen für ihr Lebensglück zu suchen. In dieses lösungsorientierte Denken gehört für mich auch die Suche nach einem neuen Lebenssinn unter den veränderten Bedingungen.
  • Sich nicht als Opfer fühlen: „Warum ich?“, „Niemals mehr werde ich…“, „Ich kann nicht…“ – Solche und ähnliche Gedanken erzeugen Ohnmachtsgefühle in uns und häufig ein unbewusstes Warten auf den großen Retter unseres Lebens (ein neuer Mensch, Gott…). Resiliente Menschen betrachten sich nicht als Opfer der Umstände, sondern versuchen – in realistischer Einschätzung ihrer Möglichkeiten – ihr Leben neu zu gestalten.
  • Keine Schuldzuweisungen: Eng verknüpft mit dem letzten Punkt sind Schuldzuweisungen. Dabei gebe ich entweder mir, den anderen oder den äußeren Bedingungen die Schuld für die momentane Situation. Besser ist es, die jeweiligen Anteile an der Krise nüchtern einzuschätzen, ggfs. daraus etwas zu lernen und dann wieder selbstverantwortlich das eigene Tun zu gestalten.
  • Einbindung in soziale Netzwerke: Resiliente Menschen sind in der Lage, andere um Unterstützung zu bitten und haben eine Reihe von Menschen, die bereit sind, ihnen in einer schweren Zeit zur Seite zu stehen.

Handlungsüberzeugung und Hingabe

Insgesamt kann man sagen, dass resiliente Menschen eine starke innere Kontrollüberzeugung haben. Sie fühlen sich dem Leben nicht ausgeliefert. Gleichzeitig erkennen sie aber auch ihre Grenzen und akzeptieren diese. Sie haben keine Allmachtsfantasien und glauben nicht, „alles im Griff“ haben zu können. Religiös gesprochen ist dies eine innere Hingabe an das Leben.

Hier scheint es mir sinnvoll, einen achten Resilienz-Faktor hinzu zu fügen, der für viele Menschen sehr hilfreich ist:

  • Glauben: In der Dokumentation „Tod im Schnee: Die größte Lawinenkatastrophe der Welt“ schildern Menschen aus Blons im Großen Walsertal den Verlust von Kindern, Brüdern, Schwestern und Ehepartnern durch einen Lawinenabgang Anfang 1954. Eine Frau merkt dazu heute an: „Ich habe immer zu Gott gebetet. Ich war nie böse auf ihn.“ Ihr, wie vielen anderen Menschen, hat der Glaube an Gott (oder eine höhere Instanz) geholfen, den Verlust ihrer zwei kleinen Kinder zu bewältigen und weiter zu gehen.

Christopher Reeve: „Superman“ im Rollstuhl

In seinem „ersten Leben“ war Christopher Reeve ein erfolgreicher Schauspieler. Bekannt wurde er vor allem in der Rolle des Comichelden Superman. Nach einem schweren Unfall im Alter von 43 Jahren war er vom Hals abwärts querschnittgelähmt. Aber er zerbrach nicht an dieser neuen Situation, sondern nahm dieses „zweite Leben“ an und engagierte sich u. a. für ein selbsbestimmteres Leben querschnittgelähmter Menschen. Zudem trat er noch vereinzelt als Schauspieler auf. 2004 starb Reeve im Alter von 52 Jahren.

 

Eingeprägte Denkmuster sind sehr hartnäckig.

Ich empfinde es als eine sehr gute Übung, mir diese Faktoren bei bisherigen schwierigen Lebenssituationen – auch bei kleineren – vor Augen zu halten. Dabei stelle ich fest, dass es gar nicht so einfach ist, die Situation vorbehaltlos zu akzeptieren, sich nicht als Opfer zu fühlen und die Unterstützung anderer Menschen in Anspruch zu nehmen… Ich erlebe immer wieder, wie hartnäckig alte Denk- und Reaktionsmuster doch in mir sind.

Wenn diese Muster auftauchen, erscheinen sie mir als die einzige Realität, als einzige Möglichkeit, so auf die Situation zu schauen. Erst mit etwas zeitlichem Abstand – nach zehn Minuten, zwei Tagen oder zwei Monaten – entsteht wieder etwas Raum im eigenen Geist. Erst in diesem Raum erkenne ich andere Sichtweisen auf die Situation und bin in der Lage, neue Handlungsmöglichkeiten in Angriff zu nehmen.

Resilienz ist meist kein fester Seinszustand.

Häufig wechseln sich auch Phasen der Resilienz mit Phasen der Vulnerabilität ab. So ist man für eine Zeit handlungsfähig und positiv, dann aber wieder passiv und gefangen in alten Denkmustern. Für die meisten von uns wird es vor allem bei größeren Krisen kein linearer Prozess sein, der uns in einen dauerhaften Zustand von Resilienz bringt.

 

Wir wissen nicht, wie wir uns tatsächlich verhalten werden.

Auch wenn wir uns in diesen Resilienz-Faktoren üben, bleibt natürlich eine nicht unerhebliche Ungewissheit, wie wir wirklich reagieren, wenn es „hart auf hart“ kommt. Vielleicht fühlen wir uns dann viel schwächer als vorher gedacht, oder aber wir erleben uns deutlich stärker und standfester als wir es uns selber zugetraut hätten. Aber ich denke, dass wir uns darauf nicht verlassen sollten und es sehr hilfreich ist, schon jetzt in kleinen Krisensituationen zu schauen, wie wir im Wissen um diese Resilienz-Faktoren unsere seelischen Widerstandskräfte stärken können.

Wo erkennen Sie Ihre Stärken und Schwachpunkte in den 8 Resilienz-Faktoren? Welche Faktoren haben Sie bisher schon als hilfreich in schwierigen Situationen erlebt?

© Foto oben: avarooa – Fotolia.com

_______________

 

Einen Kommentar schreiben. | Neue Artikel per RSS-Feed oder E-Mail abonnieren.

Keine Kommentare möglich.