Skip to content

Was fühlt sich besser an: Zuwendung oder Ablehnung? – Jeder Mensch weiß die Antwort.

von Ingo Zacharias am 1. Mai 2011

Am Anfang eines Seminars oder Vortrags zum Thema „Achtsame Kommunikation – Wie Beziehung gelingt“ fragen meine Partnerin Ute Niemann und ich die TeilnehmerInnen oft: „Was macht für Sie eine gelingende Kommunikation bzw. ein gelingendes Miteinander aus? Welche Qualitäten und Eigenschaften müssten dazu vorhanden sein?“

Einige der Antworten lauten dann: respektvoll, dem anderen mit voller Aufmerksamkeit zuhören, interessiert, andere Ansichten gelten lassen, nicht-wertend, einfühlsam, klar, ehrlich, sich Zeit füreinander nehmen, wertschätzend, Raum gebend, verstehen und verstanden werden.

Interessant ist dabei immer wieder folgendes: Keiner kommt auf die Idee zu sagen „Ab und zu gehört auch ein richtiger Streit dazu“, „Manchmal müssen die Fetzen fliegen“, „Man muss seinen Ärger einfach mal rauslassen“, „Dem anderen mal ordentlich seine Meinung sagen – auch mit Kraftausdrücken“. Keiner kommt auf diese Formulierungen.

Warum ist das so? Warum fallen den Menschen nur positive Eigenschaften ein?

Tief in uns wissen wir als Menschen, was gut ist und was nicht.

Jeder Mensch hat eine innere Verbindung dazu, was gut ist und was nicht. Keiner muss uns sagen, was ein geschicktes, ein heilsames, kurz: ein „menschliches“ Verhalten ist. Und keiner muss uns sagen, was ein ungeschicktes, ein unheilsames und damit „unmenschliches“ Verhalten ist.

Und mit „gut“ und „nicht gut“ meine ich nicht irgendeinen moralischen Maßstab, der hierfür zur Bewertung herangezogen wird. Es ist schlicht und ergreifend die Verbindung zu einem inneren Wissen in jedem Menschen. Man könnte sagen, zu einem „Wissen des Herzens“.

Wenn wir uns die Zeit nehmen, ganz in uns hineinzuhorchen, was wir uns eigentlich an Verhalten von anderen Menschen wünschen und was wir eigentlich anderen Menschen geben möchten, werden wir immer auf Beschreibungen wie die oben aufgezählten stoßen.

Eigentlich brauchen wir Moral und Gesetze nicht.

Auch die Neurobiologie kommt zunehmend zu der Erkenntnis, dass der Mensch nicht auf ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander angelegt ist. Joachim Bauer beschreibt dies in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“ so (S. 23):

Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben.

Wir brauchen keine Moral, keine Vorschriften oder Gebote. Wir bräuchten auch keine Gesetze (außer zur praktischen Regelung des sozialen Miteinanders, also z. B. der Vereinbarung, dass wir bei einer roten Ampel stehen bleiben). All diese „Einschränkungen“ von außen waren und sind eine Hilfe für die Menschen, um nicht in ein unheilsames Verhalten abzurutschen. Um nicht unmenschlich zu werden.

Doch wie die Geschichte uns zeigt, haben diese Vorschriften keinen dauerhaften Erfolg. Aus meiner Sicht liegt das daran, dass wir uns – und damit meine ich jeden Einzelnen von uns – nie die Zeit genommen haben, um tief in uns hineinzuhorchen und uns selbst zu fragen: „Du, was macht für dich eigentlich ein gutes, ein gelingendes menschliches Miteinander aus? Wie möchtest du behandelt werden? In welchem Klima möchtest du leben?“

Wenn wir es nicht schaffen, dass, was zunächst als äußere Vorgabe und vermeintliche Beschränkung daher kommt, zu unserem eigenen tiefsten inneren Wunsch zu machen, werden wir diese Vorgaben als Menschen nie wirklich annehmen und sie immer wieder durchbrechen.

Eine Übung: die 4 Arten des Erlebens.

Ich möchte Ihnen eine Kontemplation vorstellen, die die innere Verbindung zu Ihrem „Wissen des Herzens“ stärkt. Wenn Sie die Übung öfter machen, kann Sie Ihnen helfen, sich auch in schwierigen Situationen daran zu erinnern, dass ein anderes Verhalten sich „ja eigentlich besser anfühlt“. Dann können Sie sich einen kleinen Ruck geben und aus dem ablehnenden oder aggressiven Verhalten aussteigen.

Ein Hinweis vorab: natürlich gibt es auch für unser ungeschicktes Verhalten Gründe, die alles anders als „schlecht“ oder „böse“ sind. Ganz im Gegenteil sind sie Hinweisschilder darauf, was wir an Positivem, an grundlegenden menschlichen Bedürfnissen eigentlich leben möchten. Wenn wir merken, dass wir immer wieder in ein wenig hilfreiches Verhalten rein rutschen, ist es sehr sinnvoll, dort genauer hinzuschauen. Hinweise hierzu finden Sie in anderen Blog-Artikeln von mir.

Aber mit dieser Übung, möchte ich ganz bewusst nur den Fokus auf diesen inneren Platz in uns lenken, der schon jetzt weiß, was eigentlich gut und schön im menschlichen Miteinander ist. Und diese Erkenntnis kann sehr befreiend sein und uns einiges (nicht alles) an psychologischer Transformationsarbeit ersparen.

Jetzt zur Übung. Nehmen Sie sich etwas Zeit, am besten an einem ruhigen Ort und lassen Sie die folgenden Fragen auf sich wirken.

  • Wie fühlt es sich an, wenn ich Wertschätzung und Respekt erfahre? Für meine eigene Meinung und meine ganz eigene Art, mich auszudrücken? Für meine Art, Ich zu sein? Wie fühlt es sich an, wenn ich dazu gehöre, wenn ich gesehen werde oder wenn Menschen mit mir etwas teilen? Wenn mir Vertrauen geschenkt wird, wenn ich geliebt werde? Wie empfinde ich das – für mich selbst?
  • Wie fühlt es sich an, wenn ich all das nicht bekomme? Wenn ich keine Wertschätzung und keinen Respekt erfahre? Wenn ich nicht dazugehöre, wenn ich nicht… ? Wie erlebe ich das – in mir?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich Wertschätzung und Respekt gebe? Wenn ich die Meinung des anderen und seinen Selbstausdruck wohlwollend aufnehme? Wenn ich die Einzigartigkeit des anderen sehen kann? Wie fühlt es sich an, wenn ich dem anderen zeige, dass er dazugehört? Wenn ich ihn sehe, mit ihm teile, ihm Vertrauen schenke und mit einem offenen Herzen begegne?
  • Wie fühlt es sich an, wenn ich all das nicht gebe? Was erlebe ich in mir, wenn ich den anderen ablehne, missachte, gering schätze, misstraue, nur an mich denke…? Wie fühlt es sich an, anderen mit Distanz und verschlossenem Herzen zu begegnen?

Anmerkungen zur Übung.

Am bekanntesten dürfte für viele von uns das Erleben unter Punkt 2 sein. Sehr wahrscheinlich können wir gut nachempfinden, dass sich das nicht gut anfühlt.

Falls Punkt 1 zunächst schwierig für Sie ist, nehmen Sie kleine Situationen des Alltags, wo Sie das Wohlwollen anderer Menschen erlebt haben (z. B. jemand hält Ihnen die Tür auf). Dann werden Sie sicher noch auf andere Situation stoßen.

Die Punkte 3 und 4 sind vielleicht erst etwas ungewohnt. Aber wenn Sie damit in Kontakt sind, können Sie sich zusätzlich die Frage stellen: „Fühlt sich das nicht genauso an, wie wenn ich Liebe, Wertschätzung, Vertrauen selber bekomme?“ Bzw. „Fühlt es sich nicht genauso ungut an, wie wenn ich all das nicht bekomme?“

 

Mit der Zeit können Sie immer klarer erkennen, dass es die gleiche Energie der Liebe, des Vertrauens, der Wertschätzung etc. ist, die ich in mir erlebe, egal ob sie gebe oder bekomme. Diese Erkenntnis ist sehr befreiend. Und die Ironie dabei ist, dass, je mehr wir aus freien Stücken geben, wir auch immer mehr dieser Energien „zurück bekommen“.

Das Entscheidende dieses Prozesses ist unser eigenes Erleben. Unsere Gefühl leitet und führt uns. Es ist Ursache und Ausdruck unseres Wohlbefindens. Wenn wir vom Kopf in unser Herz kommen, tun wir uns selbst am meisten Gutes. Und damit tun wir auch anderen Menschen Gutes.

Fühlt es sich für Sie gut an, Wertschätzung, Vertrauen und Liebe zu geben und zu bekommen?

Anmerkung: Die wesentlichen Hinweise und Anregungen dieses Blog-Artikels verdanke ich Karl Riedl, der zusammen mit seiner Frau Helga das Intersein-Zentrum leitet. Danke, Karl!

© Foto oben: Darren Baker – Fotolia.com

_______________

 

Einen Kommentar schreiben. | Neue Artikel per RSS-Feed oder E-Mail abonnieren.

Keine Kommentare möglich.