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Ein wertschätzendes Miteinander ist nur durch eigene Wertschätzung möglich

von Ingo Zacharias am 12. Januar 2011

In den USA wird momentan sehr intensiv über die Ursachen des Amoklaufs in Arizona diskutiert. Nicht zuletzt, weil die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords dabei lebensgefährlich verletzt wurde. Die einen beklagen ein „Klima des Hasses“ und sehen eine unmittelbare Verantwortung für den Amoklauf in den aggressiven und militärischen Aussagen von Mitgliedern der republikanischen Tea-Party-Bewegung über den politischen Gegner, allen voran von Sarah Palin. Dazu gehören Aussagen wie „Gebt nicht nach, ladet nach“ als Aufforderung zum Kampf gegen die Gesundheitsreform von Barack Obama.

Die anderen sehen hingegen in dem Attentäter eine geistig verwirrte Persönlichkeit, die keinerlei ursächliche Verbindung zu den Aussagen oder dem Verhalten einer bestimmten Person oder Gruppe zulasse.

Gewalt fängt mit dem Ende einer friedvollen Haltung an.

Als Reaktion auf den Amoklauf und die Beschuldigungen sagte Sarah Palin: „Ich hasse Gewalt.“ – Und mir bleibt nichts anderes, als ihr zu glauben, dass sie Gewalt im Sinne physischer Gewalt ablehnt. Meine Frage dabei ist: Wenn Sie sich das Foto oben ansehen, dass sie in fast typischer Weise zeigt, strahlt sie eine friedvolle Haltung aus oder nicht?

Dass sie dort nicht friedvoll ist, darin werden wir alle übereinstimmen. Aber vielleicht sagen Sie, dass sie „kämpferisch“, „energisch“ oder „engagiert“ ist und dies sein nun beileibe nicht dasselbe wie „gewalttätig“.

Auf den ersten Blick: ja. Auf den zweiten Blick: nein. Was ihr nicht bewusst ist – und darin hält sie uns allen einen Spiegel vor –, ist die unmittelbare Verbindung der Mittel zur Erreichung eines Ziels und dem Ziel selbst. Martin Luther King bringt es auf den Punkt:

Wir werden niemals Frieden in der Welt haben, bevor die Menschen überall anerkennen, dass Mittel und Zweck nicht voneinander zu trennen sind; denn Mittel verkörpern das Ideal im Werden, das Ziel im Entstehen… Man kann gute Ziele nicht mit bösen Mitteln erreichen. Wir müssen friedliche Ziele mit friedlichen Mitteln verfolgen.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Es gibt in uns einen tiefen Glauben, dass zur Erreichung eines Ziels viele Mittel Recht sind. Wir alle kennen nicht umsonst den Satz „Der Zweck heiligt die Mittel.“ So setzt sich Sarah Palin etwa für die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen in den USA ein. Ein grundsätzlich gutes Ziel. Aber mit ihrer drastischen Art, für eine bestimmte Form dieses positiven Wertes einzutreten, signalisiert sie, dass sie die Andersdenkenden zur Erreichung dieses Ziels am liebsten mundtot machen würde. Und damit gesteht sie diesen Menschen genau ihre hochgehaltene Freiheit des Einzelnen, wozu ja wesentlich die Meinungsfreiheit gehört, nicht zu! So hat sie, wie es Martin Luther King ausdrückt, ihr „Ideal im Werden“ selbst zerstört und ad absurdum geführt.

Ein anderes Beispiel sind viele unsere deutschen Politiker. Sie glauben, dass sie immer wieder mit „Angriffen auf den politischen Gegner“, mit Spitzen und aggressiven Äußerungen für ihre „guten“ Ziele eintreten müssen. Besonders heftige Attacken gab es während der letzten Generaldebatte zum Haushalt 2011.

Es macht mich traurig zu sehen, dass Menschen meinen, sich auf diese nicht-friedliche und nicht-harmonische Weise für ein friedliches und harmonisches Miteinander in unserer Gesellschaft einsetzen zu müssen. Dass man konträre Position auch ernsthaft und mit echtem gelebten Respekt diskutieren kann, zeigt sich in Diskussionen zur Präimplantationsdiagnostik. Aber als Grundhaltung im politischen Diskurs und den Bürgern gegenüber scheint es dann doch noch zu unspektakulär zu sein.

Mit Aggression für den Frieden in Vietnam eintreten?

Noch ein weiteres Beispiel aus dem politischen Bereich. Ende der 1960er Jahre setzte sich der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh intensiv in den USA für ein Ende des Vietnam-Krieges ein. Dabei war es für ihn sehr befremdlich zu sehen, wie Amerikaner aggressiv und gewalttätig auf den Straßen gegen den Krieg demonstrierten. Wie kann man Gewalt ausüben und behaupten, man würde für den Frieden eintreten? Das war für ihn schon immer ein Widerspruch, dem er den Satz entgegensetzte:

Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.

Thich Nhat Hanh während eines Friedens"marsches" in Los Angeles

Und diesen Satz lebt er bis heute eindrucksvoll vor. So war ich dabei, als er nach einem Vortrag auf dem ökumenischen Kirchentag in Frankfurt mit mehreren hundert Menschen durch die Innenstadt „friedvollen Schrittes“, schweigend und ohne jegliche Plakate den Frieden vorlebte, den er sich auf der Welt wünscht.

Wir verhalten wir uns im täglichen Miteinander?

In unserem persönlichen Umfeld wünschen wir uns alle einen wertschätzenden, respekt- und verständnisvollen Umgang miteinander. Wir möchten das Gefühl von Vertrauen und Liebe spüren. Aber wie steht es mit Ihnen? Was tun Sie, damit die universellen Bedürfnisse, die auch Ihnen letztlich am meisten am Herzen liegen, gelebte Realität werden?

  • Warten Sie oft auf den anderen, dass er den ersten Schritt tut?
  • Denken Sie oft: „Wenn der sich so verhält, warum soll ich ihn dann respektvoll behandeln?“
  • Oder: „Wenn der mich nicht verstehen will, kann er mich mal. Ich versuche dann auch nicht, ihn und sein Verhalten zu verstehen.“
  • Hegen Sie Verärgerung und Groll gegen Ihre Eltern, Ihren Partner oder eine Freundin? Wünschen Sie sich mehr Achtung und mehr Verstehen? Aber wenn Sie Groll hegen, ist das dann eine wertschätzende Haltung? Und mit welchem Recht meinen Sie, sich so verhalten zu können, während der andere doch bitte schön ganz anders Ihnen gegenüber sein sollte?

Vertrauen entsteht durch Vertrauen.

Es ist ganz schwer für uns zu begreifen, dass Vertrauen nur durch Vertrauen entsteht, dass Liebe nur durch Liebe wächst, dass Wertschätzung nur durch Wertschätzung des anderen zu mir zurück kommen kann. Wir verharren als Erwachsene noch immer in der kindlichen Position, wo wir von den Eltern mehr von diesen Bedürfnissen erfüllt haben wollten – und das auch brauchten. Aber heute verhindert gerade diese Haltung, dass wir diese Bedürfnisse erfüllt bekommen. Denn wer tritt uns schon positiv und wertschätzend gegenüber, wenn wir in einer abwechselnd fordernden und ablehnenden Haltung verharren?

Wir müssen den ersten Schritt tun, sonst verändert sich nichts.

Auch wenn es uns immer wieder unbequem und unnatürlich erscheint: Wenn wir wirklich möchten, dass diese Bedürfnisse in unserem Leben Realität sind, müssen wir den ersten Schritt machen und vorleben, was wir von anderen gerne bekommen möchten. Wie Gandhi es ausdrückte:

Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünscht für diese Welt.

Wie leicht fällt es Ihnen, den “ersten Schritt” zu tun? Können Sie den logischen Zusammenhang von Mittel und Zweck, von Bekommen und Geben auch in Ihrem Herzen spüren?

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