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Wie wäre Ihr Leben ohne die ständigen Gedanken im Kopf?

von Ingo Zacharias am 6. März 2011

„Die meisten Menschen haben ihren Verstand ständig eingeschaltet und lassen ihn auf vollen Touren laufen… Das ist etwa so, als würden Sie die ganze Zeit mit einer laufenden Kreissäge in der Hand herumlaufen, die fürchterlichen Krach macht, aber in 99% der Zeit nur leere Luft zersägt.“ – Jörg Starkmuth

Mit diesem sehr anschaulichen Vergleich beschreibt Jörg Starkmuth in seinem Buch „Die Entstehung der Realität“, wie wir uns die ständigen Gedanken in unserem Kopf vorstellen können. Das Erstaunliche dabei ist, dass wir dieses „ständige Kreischen der Kreissäge“ fast alle für ganz normal halten. Nur manchmal, z. B. wenn wir in Gedankenketten von Sorgen und Ängsten gefangen sind, wünschen wir uns, dass doch einmal Ruhe einkehren möge in unserem Kopf.

Die meisten Gedanken sind „un-nötig“.

Uns ist nicht bewusst, dass die allermeisten Gedanken – im wahrsten Sinne des Wortes – „un-nötig“ sind. Wir beschäftigen uns ständig mit der Vergangenheit und der Zukunft oder sind damit beschäftigt, dass, was wir gerade wahrnehmen, zu bewerten oder mit Begriffen zu versehen. (Eine genauere Beschreibung der verschiedenen Arten gedanklicher Reaktionen auf Sinnesreize finden Sie in diesem Blog-Artikel.)

Doch eigentlich bräuchten wir unseren Verstand nur ganz konkret für die Dinge, die jetzt gerade anstehen und bei denen es etwas zu „bedenken“ gibt. Dazu gehören vor allem praktische Entscheidungen wie „Was kaufe ich jetzt ein?“, „Was möchte ich heute Abend tun?“, aber auch das Aufstellen von längerfristigen Plänen und die gedankliche Auseinandersetzung, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann.

Aber können wir danach unsere Gedanken „abstellen“? Können wir die dann auftauchenden Gedanken wie einen am Bahnhof vorbeifahrenden Zug ziehen lassen, und nicht versuchen, auf jeden Gedanken aufzuspringen und daraus eine ganze Geschichte zu spinnen?

„Ich habe halt so viel Wichtiges über das ich nachdenken muss.“ werden Sie vielleicht jetzt sagen. Doch wie viele Gedanken haben wirklich einen konkreten Bezug zur äußeren Situation dieses Moments und wie viele sind nur „Gedankenspielereien“?. Es ist für uns einfach so normal, ständig im Kopf zu sein, dass wir uns alle „große Denker“ nennen könnten.

Das Traurige daran ist, dass so das Leben an uns weitgehend unbemerkt vorbei geht und wir auch noch gestresst und in vielen Sorgen, Nöten und Konflikten leben.

Das Leben beginnt, wo das Denken endet.

Jiddu Krishnamurti, einer der ganz großen indischen Philosophen und Mystiker des 20. Jahrhunderts, beschreibt in dem folgenden Text, wie es ist, wenn man einen Spaziergang durch die Natur macht und sich dabei nicht in den eigenen Gedanken verliert. Er schildert sehr anschaulich, wie wir zu einer tiefen Erfahrung von innerem Frieden und Verbundenheit finden können, wenn der Geist still ist.

Ich lade Sie auf diesen Spaziergang in der Gegend um Saanen in den Schweizer Bergen ein, in der Krishnamurti über viele Jahre einen Teil des Jahres verbrachte. Spüren Sie in sich hinein, wie alleine das Hören oder Lesen der Worte Sie in eine andere innere Verfassung bringt; in eine Verfassung von mehr Ruhe und innerer Stille.

Auch wenn uns der Zustand, den Krishnamurti beschreibt, intellektuell sehr weit weg erscheinen mag, können wir doch über die Aufnahme seiner Worte mit unserem ganzen Wesen ein konkretes Erleben bekommen, wie sich dieser Zustand anfühlt. Und dann können wir etwas darüber nachdenken(!), ob unser „Leben in Gedanken“ wirklich so geschickt ist.

Sie können sein Wortbild hier direkt hören

[audio:https://www.heiterundgelassen.de/wp-content/uploads/2011/03/Ingo_Zacharias_-_Krishnamurti-Wortbild.mp3|titles=Ingo_Zacharias_-_Krishnamurti-Wortbild]

es als mp3-Datei herunterladen oder hier lesen. Es stammt aus dem Buch „Revolution durch Meditation“ (S. 179-181).

„Wenn du durch die kleine Stadt wanderst, mit ihrer einzigen Straße und ihren vielen Läden –  dem Bäckerladen, dem Fotogeschäft, dem Buchladen, dem offenen Restaurant –, unter der Brücke durch, vorbei an dem Schneider, über eine andere Brücke, vorbei an der Sägemühle, dann den Wald betrittst und weiterhin neben dem Fluss entlang gehst und auf das alles mit völlig wachen Augen und Sinnen schaust, aber ohne einen einzigen Gedanken im Kopf – dann weißt du, was es heißt, nicht abgesondert zu sein.

Du folgst dem Fluss eine oder zwei Meilen weit – wiederum ohne dass ein einziger Gedanke aufflattert –, schaust auf das dahinjagende Wasser, lauscht seinem Rauschen, siehst die Färbung des graugrünen Bergstroms, schaust auf die Bäume und durch die Zweige hindurch auf den blauen Himmel und die grünen Blätter – wiederum ohne einen einzigen Gedanken, ohne ein einziges Wort –, dann wirst du wissen, was es bedeutet, keinen Raum zwischen sich und dem Grashalm zu haben.

Wenn du weiter gehst durch die Wiesen mit ihren tausend Blumen in nur jeder vorstellbaren Farbe vom leuchtenden Rot bis zum Gelb und Purpur und ihrem glänzenden grünen Gras, das durch den Regen der letzten Nacht rein gewaschen wurde – wiederum ohne eine einzige Regung des Denkmechanismus –, dann wirst du wissen, was Liebe ist.

Auf den blauen Himmel zu schauen, auf die hohen Quellwolken, die grünen Berge mit ihrer klaren Silhouette gegen den Himmel, auf das kräftige Gras und die welkende Blume – zu schauen ohne ein gestriges Wort, dann wenn der Geist vollkommen ruhig, schweigend ist, ungestört durch irgendeinen Gedanken, wenn der Beobachter vollkommen abwesend ist – dann ist Einheit da.

Nicht, dass du mit der Blume vereint bist oder mit der Wolke oder mit den sich hinziehenden Bergen; vielmehr besteht ein Gefühl vollkommenen Nicht-Seins, in dem die Trennung zwischen dem Ich und dem Du aufhört.

Die Frau, die die Lebensmittel trägt, die sie auf dem Markt gekauft hat, der große schwarze Schäferhund, die zwei Kinder, die mit dem Ball spielen – wenn du auf das alles ohne ein Wort, ohne Wertung, ohne eine Gedankenverbindung schauen kannst, dann hört der Streit zwischen dir und anderen auf.

Dieser Zustand, ohne das Wort, ohne den Gedanken, ist die Weite des Geistes, die keine Schranken, keine Grenzen hat, in denen das Ich und das Nicht-Ich existieren können.

Glaube nicht, dass das Einbildung ist oder eine schwungvolle Fantasie oder eine erwünschte mystische Erfahrung; das ist es nicht. Es ist ebenso wirklich, wie die Biene auf jener Blume oder das kleine Mädchen auf ihrem Fahrrad oder der Mann, der die Leiter hinaufsteigt, um das Haus zu streichen – der ganze Konflikt des Menschen in seinem Zustand der Spaltung hat ein Ende genommen.

Du schaust ohne den Blick des Beobachters, du schaust ohne das festlegende Wort und ohne den Maßstab des gestrigen Tages. Der Blick der Liebe ist anders als der Blick des Verstandes. Der eine führt in eine Richtung, wohin der Verstand nicht folgen kann, und der andere führt zur Trennung, zu Konflikt und zu Leid. Von diesem Leid kann man nicht dem anderen gelangen. Der Abstand zwischen den beiden wird durch das Denken geschaffen, und das Denken kann mit keinem noch so langen Schritt das andere erreichen.

Da du zurück wanderst, vorbei an den kleinen Bauernhäusern, den Wiesen und der Eisenbahnlinie, wirst du erkennen, dass das Gestern ein Ende genommen hat. Das Leben beginnt, wo das Denken endet.“

Wenn Sie Krishnamurti direkt erleben möchten, hier ein Video:

 

Wo finden Ihre Gedanken zur Ruhe?

© Foto oben: cmfotoworks – Fotolia.com

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